Sozialraumbudgetierung

ForE 3-2000

Die Leitvorstellungen einer lebensweltorientierten Jugendhilfe werden (fast) allgemein geteilt. Es gilt als common sense, dass Hilfen zur Erziehung (HzE) - sei es für Einzelne, Gruppen oder Familienhilfreich nur wirken können, wenn sie "das engere soziale Umfeld" (so§ 27,2 KJHG) miteinbeziehen, unter Berücksichtigung seiner förderlichen Ressourcen und seiner auch (zer)störenden Elemente (letzteres wird manchmal vergessen). Ebenso wird in der Fachwelt allgemein geteilt, dass mit einer stärkeren sozialräumlichen Orientierung ein passgenauerer Zuschnitt von Hilfearrangements einhergehen sollte.

Wenn man mit diesen Zielvorstellungen ernst macht, folgt daraus eine radikale Neuorganisation sozialpädagogischer Arbeit:

  • HzE-Träger müssen weg von der versäulten Angebotsorientierung und hin zu nachfrageorientierten integrierten Hilfen zur Erziehung.
  • HzE-Träger müssen ergänzend zu ihrer Verantwortung für eine qualifizierte Hilfe im Einzelfall eine Verantwortlichkeit auch für den Sozialraum entwickeln.
  • Sie müssen dies tun in enger Abstimmung mit dem rechtlich ohnehin verantwortlichen Öffentlichen Träger und anderen für die soziale Arbeit bedeutsamen Institutionen im Sozialraum.

Als ein wesentlicher Baustein der Neuorganisation wird seit einigen Monaten intensiv und kontrovers über das Instrument einer "Sozialraumbudgetierung" diskutiert. Gemeint ist dabei eigentlich ein raumbezogenes HzE-Budget, das ein HzE-Träger(verbund) mit der Maßgabe erhält, daraus alle für erforderlich gehaltenen Hilfen zur Erziehung des Vertragszeitraums zu finanzieren. Verbunden wird mit der Budgetierung die fachliche Hoffnung, Hilfearrangements wirklich von den konkreten Bedürfnissen der Adressatinnen her zu entwickeln (und nicht vom bestehenden Angebot, der aktuellen Belegungssituation etc.) und finanzielle Ressourcen auch für die fallunabhängige Arbeit im und fürs Gemeinwesen zu gewinnen. Wenn allerdings mit der Brille der Haushaltskonsolidierung auf das Instrument der Budgetierung geschaut wird, dann kann sie als probates Mittel zum Sparen erscheinen: das Budget wird "gedeckelt", der individuelle Rechtsanspruch auf Hilfen untergraben. Es ist wie bei einem Wackelbild: Schaut man von der einen Seite, so erblickt man das Paradies, während der Blick von der anderen Seite fachliche Abgründe zu offenbaren scheinen. Kein Wunder, dass die Debatte so heftig ist!

In diesem Heft wollen wir zum einen über das (ja im Detail komplizierte und viel Knowhow voraussetzende) Instrument "Sozialraumbudgetierung" gründlich informieren. Dies geschieht vor allem im Beitrag von Frank Früchte/, Christine Krieg-Rau und Thomas Scheffer, die über das Stuttgarter Modell eines raumbezogenen HzE-Budgets in all seinen Facetten informieren. Zum anderen wollen wir die Pro- und Contra-Diskussion um das Sozialraumbudget bündeln, beginnend mit einem Plädoyer von Wolfgang Hinte für den Ausbau sozialräumlicher Finanzierungsformen als "Einstieg in eine bessere Jugendhilfe" und mit einem ebenso leidenschaftlichen Votum von Reiner Prölß gegen die Sozialraumbudgetierung. Bernd Hemker nimmt in seinem Beitrag eine Zwischenposition ein und diskutiert wichtige Detail- und Übertragungsprobleme des "Stuttgarter Modells" insbesondere auf kleinere Jugendamtsbezirke.

Mein persönliches Fazit: Sozialräumliche Finanzierungsformen sind - zumindest in Ergänzung der klassischen Einzelfallfinanzierung - zwingend notwendig, wenn die eingangs genannten fachlichen Leitideen ernsthaft in praktisches Handeln umgesetzt werden sollen. Der Königsweg ist hier wohl noch nicht gefunden - aber auf den Weg machen, muss man sich schon...

Wolfgang Trede