Sexualisierte Gewalt

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ForE 2-2013

„Viele Kinder und Jugendlichen, die der Kinder- und Jugendhilfe anvertraut und in den Hilfen zur Erziehung betreut und unterstützt werden, kommen aus Milieus, in denen sie Opfer von physischer, psychischer Gewalt, Vernachlässigung oder materieller Ausbeutung geworden sind. Sie suchen auch Schutz in den Hilfen zur Erziehung (…), [sie] haben (…) ein Anrecht auf sichere Orte.“ ( IGfH 2011: Positionierung zum Abschlussbericht des Runden Tisches Heimerziehung der 50er und 60er Jahre)

Dass die Jugendhilfe/ die Hilfen zur Erziehung diesen Anspruch immer noch nicht für alle ihr anvertrauten Kinder und Jugendlichen einlöst, zeigte die Einberufung/ die Arbeit des Runden Tisches  „Sexueller Kindesmissbrauch in Abhängigkeits- und Machtverhältnissen in privaten und öffentlichen Einrichtungen und im familiären Bereich“ im April 2010. Zu konstatieren ist, dass Machtmissbrauch – und sexualisierte Gewalt als eine Form von Machtmissbrauch – gegenüber Kindern und Jugendlichen in Institutionen der öffentlichen Erziehung und Bildung kein Thema der Vergangenheit ist. Obschon insbesondere in Folge der Heimkampagne umfangreiche Modernisierungsbestrebungen pädagogischer Institutionen nachgezeichnet werden können, sind und bleiben pädagogische Praxen anfällig für (sexualisierte) Formen von Gewalt. Wir müssen davon ausgehen, dass die strukturelle Machtasymmetrie in den Beziehungsgefügen von AdressatInnen und Fachkräften – wobei letztgenannte die weitaus überlegenere Position einnehmen – konstitutiv für Interaktionsbeziehungen in sozialpädagogischen Kontext ist. Dennoch dürfen wir nicht aus den Augen verlieren, dass eine zu formalisierte Regelung des Miteinanders von Kindern und Erwachsenen auch in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe – wie das Beispiel England zeigt - eine tiefgreifende Unsicherheit erzeugt und aus der Fremdheit neue Unterdrückung entsteht (vgl. Winkler in diesem Heft)

Das vorliegende Themenheft fragt deshalb auch danach, wie die relevanten AkteurInnen dafür Sorge tragen können, stattdessen sichere Orte für Kinder und Jugendliche zu schaffen. Dabei hat sich die Redaktion bei der Auswahl der unterschiedlichen Zugänge dafür entschieden, den Schwerpunkt auf die Interaktion zwischen jungen Menschen und Fachkräften in Einrichtungen der HzE zu legen. Gleichwohl zeigen jüngste Studien (Moser 2012), dass auch die Gewalt unter Kindern und Jugendlichen ein wichtiges Thema darstellt, das in diesem vorliegenden Heft aber bewusst ausgeklammert wurde.

Johannes-Wilhelm Rörig – der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs – bilanziert im ersten Beitrag des Themenschwerpunktes die Umsetzung der Empfehlungen des Runden Tisches „Sexueller Kindesmissbrauch“. Zudem stellt er die im Januar gestartete Kampagne „Kein Raum für Missbrauch“ vor.

Elisabeth Helming stellt die Ergebnisse einer Studie des Deutschen Jugendinstituts zu sexueller Gewalt in Institutionen dar.  Sie postuliert, dass sich die Kinder- und Jugendhilfe/ bewusst werden muss, dass und wie sie zu einer Revikitimisierung dort lebender Kinder und Jugendlicher beiträgt, um auf Basis dieses Wissens geeignete Maßnahmen zur Gegensteuerung ergreifen zu können.    

Dass Kinder und Jugendliche, die in Heimen leben, im familiären Kontext häufig sexuelle   Gewalt erfahren mussten, problematisiert der nachfolgende Beitrag von Luise Hartwig. Sie weist darauf hin, dass geschlechterspezifische Gewaltdrohungen in Familien – zuvörderst männlicher Gewalt – Teil der Lebensrealität vieler Kinder und Jugendlicher ist und sich eine geschlechtersensible Betrachtung mitnichten erledigt hat. Zudem fragt sie danach, wie  Lebensorte in der öffentlichen Erziehung als sichere Alternative zur Familie gestaltet werden können.

Die Frage nach der Schaffung/ Erhaltung sicherer Orte für Mädchen und Jungen in den Erziehungshilfen wird auch im Beitrag von Ralf Mengedoth (implizit) aufgegriffen. Der Autor plädiert für eine Einrichtungskultur der Grenzwahrung und skizziert konkrete Umsetzungsideen am Beispiel der Ev. Jugendhilfe Schweicheln.

Thomas Mörsberger beschäftigt sich im Anschluss mit den Zusammenhängen Arbeitsrecht und der Einhaltung ‚ethischer Leitlinien’ – insbesondere mit sog. Selbstverpflichtungserklärungen. Er beschreibt verschiedene Aktionsebenen und differenziert dabei die jeweils spezifischen Regelungskompetenzen.

Abschließend formuliert Michael Winkler sein Unbehagen an Nebenfolgen der Debatte zu sexuellem Missbrauch/ sexueller Gewalt in Einrichtungen der Erziehungshilfen. Er konstatiert eine starke Formalisierung des Verhaltens gegenüber Kindern und Jugendlichen, die Gefahr läuft, wesentliche Gelingensfaktoren des Aufwachsens – wie Zuneigung, Leiblichkeit, Sexualität, zu tabuisieren. 

Josef Koch/ Diana Düring

 

 

Aus dem Inhalt

Friedhelm Peters
Die Kirche(n) und die Aufklärung

Johannes-Wilhelm Rörig
Schutz vor sexuellem Missbrauch ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe

Elisabeth Helming
Sexuelle Gewalt und sexuelle Grenzverletzungen in stationären Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe – (k)ein Thema der Vergangenheit?!

Luise Hartwig
Hilfen für Mädchen und Jungen zur Aufarbeitung von sexuellen Gewalterfahrungen – Handlungsansätze in der Heimerziehung

Ralf Mengedot
Pädagogik und Grenzen. Überlegungen zu einer pädagogischen Haltung der Grenzwahrung in Einrichtungen der Erziehungshilfe

Thomas Mörsberger
„Eine Art Pfeifen im Walde“ - Zu den Versuchen, durch förmliche Verpflichtungserklärungen Missbrauch in Einrichtungen zu verhindern

Michael Winkler
Schwierigkeiten mit einem Thema

Dorothee Schaffner, Thomas Geisen, Angela Rein, Walter Stotz
Schweiz: Jugendliche mit Migrationshintergrund in der stationären Jugendhilfe

Stefan Heinitz / Britta Claassen-Hornig
Neue Wege im Umgang mit problematischen Fallverläufen: Die Fall-Werkstatt als Methode der Qualitätsentwicklung und des Fehlerlernens

Knut Hinrichs
Sozialräumliche Umsteuerung in der Hamburger Jugendhilfe: ein „figelinsches“ Reformwerk, das viele Rechtsfragen aufwirft

Jörg Freese
Auswirkungen des § 8b SGB VIII. Zum Beitrag von Norbert Struck in Forum Erziehungshilfen 5/2012