Mediatisierung in den Hilfen zur Erziehung

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ForE 3-2018

Der Begriff Digitalisierung bzw. Mediatisierung ist in aller Munde, bleibt dabei aber oft diffus, was ihm etwas Mystisches verleiht. Nachdem die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag den Begriff prominent aufgenommen hat und die Influencerin und Politikerin Dorothee Bär zur Staatsministerin im Bundeskanzleramt, Beauftragte der Bundesregierung für Digitalisierung, ernannt wurde, hat der Begriff Hochkonjunktur. Digitalisierung scheint eine unfassbare revolutionäre Kraft zugesprochen zu werden, die gesellschaftliche Strukturen grundlegend verändern kann – mitunter ist bereits von der „digitalen Revolution“ die Rede. In den 1990er Jahren wurde das sich entwickelnde Internet noch als Chance zur Überwindung von gesellschaftlichen Widersprüchen und Ausschlüssen begriffen, heute kehren Ernüchterung, bisweilen gar Angst vor der „digitalen Demenz“ ein. Auch das Internet und digitale Angebote sind – so wissen wir heute – in das kapitalistische Herrschaftsverhältnis mit all seinen Widersprüchen eingewoben und damit kein neuer egalitärer und gerechter ‚Raum‘.

Der Diskurs um die Mediatisierung des Alltags wird in der Sozialen Arbeit wie in der Pädagogik breit und kontrovers geführt und hat sich angesichts der weitgehenden medialen Durchdringung von Lebenswelten im Zuge der Digitalisierung von Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten sogar verschärft. Die damit verbundenen Anfragen, Möglichkeiten und Herausforderungen werden in vielen Handlungsfeldern der Kinder- und Jugendhilfe, insbesondere in der Kinder- und Jugendarbeit, in der Beratung oder in administrativen Zusammenhängen, breit diskutiert, entsprechende Konzepte, Orientierungshilfen etc. vorgelegt.

Der Bereich der Hilfen zur Erziehung scheint von dieser Diskussion, abgesehen von Bestrebungen zur Digitalisierung von Hilfe(plan)dokumentationen, bislang nur in geringem Maße betroffen zu sein. Dies verwundert umso mehr, als es die Erziehungshilfen mit jungen Menschen zu tun haben, die mit sozialen und individuellen Belastungen zu kämpfen haben und dabei Hilfe und Unterstützung benötigen. Darüber hinaus brauchen sie aber auch Zugangsmöglichkeiten zu Teilhabe an gesellschaftlichen, technologischen und sozialen Entwicklungen, um die daraus resultierenden Möglichkeiten für ihre Lebensführung nutzen zu können.

Das Heft möchte die Debatte um Mediatisierung in den Erziehungshilfen konstruktiv ‚erden‘, die Bedeutung des Themas für fachliches und professionelles Handeln ebenso herausarbeiten wie fachliche Weiterentwicklungen anregen.

Anne Erhard legt gleich zu Beginn des Schwerpunktes „den Finger in die Wunde“ und zeigt durch ihre eigene Erfahrung auf, wie Medien in der stationären Jugendhilfe reglementiert werden, bspw. der Zugang ins Internet erschwert wurde und immer noch wird.

Angela Tillmann gibt einen breiten Überblick über das Themenfeld in Bezug auf Hilfen zur Erziehung. Deutlich wird, dass die Erziehungshilfen mit der Mediatisierung ein enormes Entwicklungsfeld vor sich haben und hier aktiv werden müssen.

Thomas Ley und Udo Seelmeyer diskutieren die Möglichkeiten digitaler Dokumentation für die sozialpädagogische Praxis und zeigen auf, dass auch hier Datenschutz und fachliches Handeln konstitutiv zusammengehören.

Marc Witzel diskutiert die Verantwortung pädagogischer Fachkräfte für die Beförderung eines emanzipatorischen Umgangs mit Medien in den Hilfen zur Erziehung und nimmt dabei die professionelle sozialpädagogische Haltung kritisch in den Blick.

Alexander Oswald widmet sich dem Themenkomplex der Onlineberatung mit dem Fokus auf Hilfen zur Erziehung im ländlichen Raum und plädiert für eine Angebotsvielfalt, die ‚offline‘- und ‚online‘-Angebote bedarfsorientiert miteinander kombiniert.

Stephan Schieck schließlich erläutert, was handlungsorientierte Medienarbeit bedeutet, welche Ziele sie hat und macht deutlich, dass aktive Medienarbeit in der Lebenswelt der jungen Menschen oder auch der Eltern ansetzen muss.

MOMO – The Voice of disconnected youth befasst sich als Selbstorganisation von jungen wohnungslosen und obdachlosen Menschen mit der Bedeutung von Smartphones für diese jungen Menschen und stellt die Hilfewebseite mokli-help.de vor.

Stefan Wedermann und Thomas Drößler

 

Aus dem Inhalt

Werner Freigang: beleging.vp - Digitalisierung & Inkasso im Nordosten

Anne Erhard: Digitale Medien in der stationären Jugendhilfe aus der Perspektive einer Careleaverin

Angela Tillmann: Erziehungshilfen im Kontext der Digitalisierung: Herausforderungen und Aufgaben

Thomas Ley, Udo Seelmeyer: Digitale Dokumentation in den erzieherischen Hilfen. Zum professionellen Umgang mit adressatenbezogenen Daten

Marc Witzel: Haltung als Handlungskompetenz von Fachkräften in Mediatisierungsprozessen?

Alexander Oswald: Potenziale onlinegestützter Hilfsangebote für die Kinder- und Jugendhilfe im ländlichen Raum.

Stephan Schieck: Handlungsorientierte Medienarbeit in den Hilfen zur Erziehung

Aktive von Momo, André Neupert: Zur Bedeutung von Smartphones für obdachlose Jugendliche

Friedhelm Peters: Opening Doors: Ein europäisches Ent-Institutionalisierunsprogramm in der Kinder- und Jugendhilfe

Norbert Struck, Meinolf Pieper, Wolfgang Trede, Markus Wegenke, Maria Lüttringhaus, Reinhold Schone: Ein Dokument...und eine überfällife Diskussion

Norbert Struck: Heranziehung zu den Kosten einer Unterbringung. VG Cottbus