Call for Papers für den Sammelband „Mädchen*welten 2.0 – Mädchen* in den HzE“ 

Hrsg. von der IGfH-Fachgruppe Mädchen* und Frauen* 
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Dass die Differenzkategorie Geschlecht von zentraler Relevanz hinsichtlich gesellschaftlicher Positionierung, Chancenungleichheit und Gewaltbetroffenheit ist, ist gleichermaßen belastbar und wiederholt belegt – und zugleich diskursiv umkämpft. Im Zuge des aktuellen Erstarkens der extremen Rechten und rechtspopulistischer Kräfte ist ein antifeministischer Backlash zu konstatieren; gendersensible Sprachpraktiken und das in ihnen eingelagerte Wissen um strukturelle Gewalt gegen weibliche* und queere Personen werden diffamiert und gesetzgeberisch verboten, aber auch jenseits breit diskutierter Aushandlungskämpfe halten sich antifeministische Diskurse hartnäckig. Die strukturelle Benachteiligung von Frauen* und Mädchen* verbleibt in weiten Teilen des öffentlichen Sprechens verdeckt resp. wird individualisiert. 

Die Gleichzeitigkeit ‚geschlechtshierarchischer Verdeckungszusammenhänge‘ und antifeministischer Geschlechtervorstellungen einerseits und zahlreichen Studien zur de facto bestehenden strukturellen Benachteiligung qua Geschlecht andererseits lässt sich nicht nur gesamtgesellschaftlich, sondern auch in der Sozialen Arbeit im Allgemeinen und den Hilfen zur Erziehung im Besonderen nachzeichnen. Die besondere Vulnerabilität und geschlechtsspezifischen Lebenslagen von Mädchen* in den Hilfen zur Erziehung sind theoretisch sowie empirisch breit untermauert – und laufen zugleich immer wieder Gefahr, unsichtbar zu werden. Dass der Situation von Mädchen* in den unterschiedlichen Hilfeformen keine größere Aufmerksamkeit in Forschung und Lehre der Sozialen Arbeit zukommt, verwundert insofern, als dass unterschiedliche Autor*innen seit nunmehr Jahrzehnten auf die „doppelte Benachteiligung“ von Mädchen* in den HzE verweisen: Mädchen* seien insgesamt signifikant weniger in den Hilfen vertreten (Fendrich/Tabel 2019 sprechen hier von einer ungleichen Ressourcenverteilung zuungunsten von Mädchen*), kämen viel später dort an und stünden dementsprechend unter einem hohen Druck, innerhalb kurzer Zeit zu funktionieren. Zudem würden Mädchen* (auch) im Kontext von Familialisierungstendenzen von stationären Settings als Carearbeiter*innen adressiert und in geschlechtsspezifische Rollen gedrängt. 

Bereits 1991 hat sich die Fachgruppe Mädchen* und Frauen* in der IGfH im Sammelband „Mädchenwelten – Mädchenpädagogik“ eben jenen Befunden aus Praxis und Forschung zur Benachteiligung von Mädchen* in den Hilfen zur Erziehung gewidmet. Aktuelle(re) Studien und Diskursbeiträge geben uns wenig Anlass zur Annahme, dass Mädchen* heute weniger stark von Stereotypen, geschlechtsspezifischen Rollenerwartungen, Diskriminierung und Ungleichbehandlung betroffen sein könnten. In der Tradition des ersten „Mädchenwelten“-Bandes soll in dem geplanten neuen Sammelband in kritischer und (queer-)feministischer Absicht auf die Lebenslagen von Mädchen* in den Hilfen zur Erziehung geschaut, Leerstellen und Probleme skizziert und ein Beitrag zur Sichtbarkeit des Status Quo geleistet werden.  

Zugleich besteht ein zentrales Anliegen darin, die herrschaftskritischen und machtanalytischen Gedanken des ersten Bandes aus den frühen 1990er Jahren aufzunehmen und sie mit Perspektiven wie Queerfeminismus, Intersektionalität oder postkolonialistischer Kritik zu verweben. 

Vor diesem Hintergrund suchen wir für den geplanten Sammelband Beiträge, in denen sich u.a. mit den folgenden Perspektiven und Themen beschäftigt werden kann: 

Theoretische und historische Verortungen und Diskurse 

  • (Auch) Zum Mädchen*begriff: Poststrukturalistische, queerfeministische, intersektionale sowie postkolonialistische Perspektiven  

  • Heteronormativität und Doing Gender in den HzE 

  • Die Historie der (Un)Sichtbarkeit von mädchen*spezifischen Lebenslagen in den HzE 

  • Gewalt und (Ohn)Macht als zentrale Themen im (Er)Leben von Mädchen* in den HzE 

  • Strukturelle Gewalt gegen Mädchen* als elementarer Aspekt von Fallverstehen und Sozialpädagogischer Diagnostik 

  • Rechtliche Perspektiven: §9 (3) im SGB VIII, Istanbul Konvention, Selbstbestimmungsgesetz, usw.  

  • Mädchen*sein in einzelnen Hilfesettings (stationär, ambulant, usw.) 

  • Beteiligung und Beschwerde auf theoretischer bzw. ggf. konzeptioneller Ebene mädchen*spezifisch gedacht 

  • … 

Empirie und Forschungsbefunde 

  • Aktuelle statistische Befunde zu Mädchen* in den HzE 

  • Die Situation von Mädchen* in unterschiedlichen Settings (Geschlossene Unterbringung, SPFH , Pflegefamilie, Kinder-/Jugendpsychiatrie, Tagesgruppen, Heimerziehung, usw.) 

  • Internationale Ein- und Ausblicke zu Mädchen* im jeweiligen Jugendhilfesystem 

  • Geschlechtliche und sexuelle Vielfalt

  • Öffnungsprozesse historisch gewachsener Mädchen*orte 

  • Diversität innerhalb der Geschlechtergruppe von Mädchen* in den HzE: Rassismusbetroffene Mädchen*, queere Mädchen*, Mädchen* mit Behinderung, usw.  

  • Doing Gender in den HzE: Zur Herstellung von Geschlecht und Mädchen*sein in Alltagspraktiken der Freizeitgestaltung, des Essens, der Partizipationsprozesse, des Aushandelns pädagogischer Maßnahmen, usw. in den HzE 

  • Junge Frauen* und Careleaving 

  • Selbstermächtigungs- und Widerstandspraktiken von Mädchen*, subversive Unterwanderungspraktiken misogyner Rollenzuweisungen und Strukturen 

  • … 

Perspektiven und Erfahrungen aus der Perspektive von Adressat*innen und Careleaver*innen

  • Empowerment, Problematisierungen, Selbstorganisation und Vernetzung, Bedarfe und Bedürfnisse von (ehemaligen) Mädchen* und jungen Frauen* in den HzE
     
  • Beiträge aus der Perspektive von Autor*innen, die sich als Careleaver*innen positionieren

Wir laden interessierte Autor*innen herzlich dazu ein, Abstracts für Einzelbeiträge zu einem der Themenschwerpunkte einzureichen. Diese sind im Umfang von ca. 0,5-1 Seite (zzgl. Quellenverzeichnis) bis zum 01.04.2024 einzureichen an: Maedchenband@gmx.netDabei freuen wir uns ausdrücklich über Beiträge aus der Perspektive junger Menschen, junger Erwachsener und Careleaver*innen. Falls gewünscht, können wir beim Schreibprozess auch  gern unterstützen. 

Die Einreichenden werden dann zeitnah durch die Herausgebenden benachrichtigt. Beiträge im Umfang von max. 30.000 Zeichen (inklusive Leerzeichen) sind dann bis spätestens zum 01.10.2024 einzureichen. Vorerst ist ein Erscheinen im Jahr 2025 geplant.

Wir freuen uns auf eure und Ihre Beiträge!

Hanna Kopahnke (sie/ihr) – Referentin für Inklusion Frauenhauskoordinierung e.V., Fachgruppe Mädchen* und Frauen* in der IGfH 
Laura Serhat (sie/ihr) – Sprecherin der Fachgruppe Mädchen* und Frauen* in der IGfH 
Lisa Albrecht (sie/ihr oder keine Pronomen) – Wissenschaftliche Referentin* der IGfH, Fachgruppe Mädchen* und Frauen* in der IGfH 
Nicole von Langsdorff (sie/ihr) – Professorin für Theorien und Methoden Sozialer Arbeit, Fachgruppe Mädchen* und Frauen* in der IGfH 
Sarah Sobeczko (sie/ihr) – Sprecherin der Fachgruppe Mädchen* und Frauen* in der IGfH, Doktorandin Philipps-Universität Marburg