Gefühle und Erziehung

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ForE 4-2013

Sich mit Gefühlen und Emotionen im Alltag der Erziehungshilfen zu beschäftigen mag zunächst etwas irritieren: Zwar spielen Gefühle wie Ärger, Wut, Glück, Angst, Empörung, Freude, Neid, Hoffnungslosigkeit oder Schuldgefühle selbstverständlich eine Rolle im Alltag der Erziehungshilfen, doch diese Gefühle werden von uns selbst häufig genug als „unprofessionell“ empfunden, wenn nicht gar als „störend“ für eine professionelle Beziehungsgestaltung.

In jüngster Zeit werden jedoch „Gefühle“ und „Rationalität/Vernunft“ zunehmend nicht mehr als trennscharfe Gegensätze betrachtet. Auch wenn uns dies in der Regel nicht bewusst ist, sind Gefühle auf Engste mit Überzeugungen und Wertungen verknüpft, das heißt, Gefühle haben einen sogenannten „kognitiven Gehalt“ und geben uns Hinweise auf die dahinterliegenden Überzeugungen und Wertungen, mit der wir oder andere Menschen Geschehnisse, Dinge oder Personen betrachten.

Dies trifft auch auf den Alltag in den Hilfen zur Erziehung zu. Auch wenn die hier stattfindenden Interaktionen in professionellen (Arbeits-)Settings stattfinden, heißt das weder, dass Gefühle außen vor bleiben, noch dass Gefühle irrationale Empfindungen sind, die nur für die jeweils involvierten Personen folgenreich sind.

Die Auseinandersetzung mit den Gefühlen der Beteiligten im Feld der Erziehungshilfen– also der AdressatInnen als auch der pädagogischen Fachkräfte – ist ein weitgehend tabuisiertes und im Fachdiskurs wenig beleuchtetes Feld. Gefühle zum Thema zu machen, verbindet sich jedoch auf Engste mit ‚Grundfragen’ sozialpädagogischen Handelns wie etwa Machtverhältnissen in pädagogischen Interaktionen oder dem Spannungsverhältnis von Nähe und Distanz.

Die Beiträge dieses Schwerpunkts greifen kaleidoskopartig verschiedene Aspekte auf. Auch wenn die Komplexität des Themas in einem solchen Rahmen kaum einzufangen ist, möchten wir doch einen Ansatz bieten, sich mit der Bedeutung von Gefühlen für das (professionelle) Handeln in den Hilfen zur Erziehung zu befassen.

Thomas Klatetzki stellt in seinem Beitrag ein theoretisches Konzept von Emotionen vor, das diese als Einschätzungen begreift, die auf verschiedenen kognitiven Prozessen basieren und die im Zusammenhang von kulturellen Moralsystemen stehen. Er verdeutlicht, dass sich Einrichtungen der Jugendhilfe hinsichtlich der Praxis ihrer moralischen Fokussierung unterscheiden und sich mit einer solchen Perspektive Einblicke in das emotionale Leben von sozialen personenbezogenen Dienstleistungsorganisationen sowie deren Organisationskultur gewinnen lassen.

Der Beitrag von Margret Dörr und Burkhard Müller legt eine psychoanalytisch-pädagogische Perspektive zugrunde und fokussiert die Bedeutung institutioneller Rollen und darauf bezogener Deutungsmuster für die Gefühlsebene. Die AutorInnen betonen die Herausforderung, Erziehungshilfen so zu gestalten, dass aus verordneten Maßnahmen für Kinder und Jugendliche affektiv besetzbare und lebenswerte Orte werden. 

Die Gefühle von MitarbeiterInnen im Berufsalltag der Erziehungshilfen sind Gegenstand des Gesprächs von Ulrike Herr und Nicole Rosenbauer. Aus ihrer Erfahrung als Supervisorin verdeutlicht Ulrike Herr, dass Gefühle im Kontext von Strukturen entstehen und auch so reflektiert werden sollten.  Darüber hinaus beschreibt sie, dass und wie die Biografie der Fachkräfte deren Handeln beeinflussen kann und welche Aspekte hilfreich sein können, eskalierende Dynamiken und Belastungen auf emotionaler Ebene im Arbeitsalltag zu entschärfen.              

Diana Düring und Nicole Rosenbauer gehen anhand von Ergebnissen qualitativer Forschung den Gefühlen von Kindern, Jugendlichen und Eltern nach. Ersichtlich wird dabei, dass Anerkennung und Vertrauen die Etablierung von wertschätzenden und nicht-verletzenden Interaktionsmustern in den Hilfen zur Erziehung fundieren. Sie plädieren daher für eine bewusstere Auseinandersetzung mit der ‚personalen Dimension’ pädagogischen Handelns.

Leonie, eine junge Frau, die in einer therapeutischen Wohngemeinschaft    lebt, beschreibt ihre Sicht auf die Bedeutung von Gefühlen in der Betreuung. Sie geht insbesondere darauf ein, wie Vertrauen zu Fachkräften entstehen kann, das  eine Basis für eine gemeinsame Aufarbeitung und Bewältigung von Gefühlen schafft.

Nicole Rosenbauer, Diana Düring

 

 

Aus dem Inhalt

Friedhelm Peters
Die „Haasenburg“ ist nur die Spitze des Eisbergs - Das Verbot entwürdigender Erziehungsmaßnahmen endlich durchsetzen!

Thomas Klatetzki
Emotionen und soziale personenbezogene Dienstleistungsorganisationen

Margret Dörr
Burkhard Müller (1939 – 2013)
Sich verwenden lassen, den anderen nicht verwenden!

Margret Dörr/ Burkhard Müller
Gefühle und Erziehungshilfen aus psychoanalytisch-pädagogischer Perspektive

Diana Düring/ Nicole Rosenbauer
Einblicke in die Gefühlswelten von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien in Erziehungshilfen

Leonie
Für den Einbezug der Gefühlsebene in die Betreuung

Ein Gespräch mit Ulrike Herr über emotionale Aspekte des fachlichen Handelns und den Umgang mit Gefühlen im Arbeitsalltag
„Du sollst nicht deinen Gefühlen folgen. Deine Gefühle sollen dir folgen“

Cornelia Jager
“Lernen durch aktive Unterstützung und interkulturelle Erfahrungen“

Eva Christina Stuckstätte
Elternarbeit in der Kinder- und Jugendhilfe - Welche Herausforderungen sind mit ihr verbunden?

Norbert Struck
Das Kinder- und Jugendhilfeverwaltungsvereinfachungsgesetz – KJVVG

Erscheinungsjahr
2013
Ausgabe
4
Sammelband
Nein
Ausgabe Jahr
2013