Macht und Ermächtigung von jungen Menschen und Familien in den Erziehungshilfen

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ForE 5-2015

Macht ist ein zentrales Element öffentlicher Erziehung und Hilfe. Zwischen den Beteiligten ist Macht dabei strukturell ungleich verteilt. Kindern, Jugendlichen und ihren Familien stehen zwar durchaus Machtpotenziale und Machtmittel zur Verfügung, den Mitarbeiter_innen und Vertreter_innen der öffentlichen Institutionen jedoch bereits qua Positionierung und Funktion ungleich mehr: Ausgestattet mit einem öffentlichen Auftrag verfügen sie über weit mehr Ressourcen, Orientierungswissen und Entscheidungsbefugnisse. Kurz: Es besteht eine Machtasymmetrie zuungunsten der Adressat_innen. Die Aufarbeitungen der beiden Runden Tische zur Heimerziehung in den 50er und 60er Jahren sowie zum Sexuellen Kindesmissbrauch in Institutionen haben gezeigt, wie verletzlich die Integrität von jungen Menschen in dieser fragilen und für sie teilweise riskanten Asymmetrie ist.

Können junge Menschen angesichts dieser ungleich verteilten Machtressourcen in eine stärkere, mächtigere Position ‒ im Sinne einer Ermächtigung ‒ gebracht werden? Und wenn ja, wie?

Manfred Kappeler rekonstruiert verschiedene Schwerpunkte im Macht-Diskurs in der Jugendhilfe (Ausübung von Macht in der öffentlichen Erziehung, Machtmissbrauch und Zwang in der Erziehung). Diese bewegen sich als Analysen wesentlich auf der intersubjektiven Beziehungsebene und blenden dabei die strukturelle Bezogenheit von personaler pädagogischer Macht in pädagogischen Settings auf die gesellschaftliche Makroebene weitgehend aus. Es bedarf einer Rückerinnerung an den weitgehend verloren gegangenen ursprünglichen Kern des Empowerments, der politischen Dimension einer Ermächtigung zur Macht als Gegenmacht.

Peter Schruth verdeutlicht in seinem Beitrag, dass sich ombudschaftliches Handeln in der Jugendhilfe, die strukturelle Machtasymmetrien so weit wie möglich im Interesse der Betroffenen auszugleichen sucht, dass sich Ombudschaft selbst in ordnungspolitischen Kontexten und machtvollen Denklogiken bewegt. Gerade da Ombudschaft zunehmend ins System geholt und affirmativ nützlich gemacht werde, braucht es unabhängige ehrenamtliche Selbstorganisation und Bündnisse, die als zivilgesellschaftliche Gegenmacht Nicht-angepasst-sein, Kritik und Widerspruch kultivieren und sich institutionell nicht vereinnahmen lassen.

Der Beitrag von Chantal Munsch vergleicht Konzepte der Sozialraumorientierung in den Hilfen zur Erziehung mit Konzeptionen und Ansprüchen in der Gemeinwesenarbeit. Auch wenn mit beiden Konzepten sehr differente Konzepte assoziiert werden, lassen sich doch einige unterschiedliche Perspektiven herausdestillieren. Während bei der Gemeinwesenarbeit die Veränderung des Sozialraumes im Vordergrund steht, gerät er in den sozialraumorientierten Hilfen zur Erziehung v.a. als Ressourcenpool für Einzelfallarbeit in den Blick. So kommt es, dass die Veränderung der sozialräumlichen Bedingungen, die in der Gemeinwesenarbeit im Vordergrund steht, in den Hilfen zur Erziehung eher im Hintergrund steht. Zentral der Befund: Es ist etwas anderes, ob ich meine Vorstellungen darüber einbringen kann, wie mir geholfen wird oder ob ich meine Ideen darüber formulieren kann, wie meine Umgebung sich verändern soll.

Liane Plutos Beitrag zeigt, dass Beteiligung machtvoll verhindert wird, wenn z. B. Beteiligungsmöglichkeiten nur in ausgewählten Bereichen des Alltags zugelassen werden (gezeigt am Beispiel des Essens) oder die Umsetzung von Beteiligungsgelegenheiten oder –verfahren von Fachkräften pädagogisch nicht unterstützt wird. Mit dem erreichten Stand, der aktuell durch den neuen Diskurs um den Kinderschutz sowie die zunehmende Normierung von Handlungsstrategien in Manualen und Diagnoseverfahren erneut unter Druck gerät, können sich die Erziehungshilfen nicht zufrieden geben.

Der Beitrag von Anne Erhard und Ruth Seyboldt beschreibt Voraussetzungen gelingender Beteiligung aus der Perspektive von jungen Menschen selbst. Die beiden beschreiben Formen der Fremdbestimmung im Alltag (am Beispiel der Nutzung neuer Medien in stationären Hilfen, der schulischen Bildung und alltäglichen Gestaltungsmöglichkeiten), in denen nicht mit ihnen, sondern über sie entschieden wurde.

Nicole Rosenbauer, Norbert Struck

 

 

Aus dem Inhalt

Norbert Struck: Wie man das Thema Aufarbeitung von „Pädophilie“ in Organisationen nicht angehen sollte!

Manfred Kappeler: Machtprozesse und Ermächtigung in der öffentlichen Erziehung

Peter Schruth: Sich bewegen im Machtkorsett: Unabhängige ombudschaftliche Beratung in der Jugendhilfe

Chantal Munsch: Ermächtigung von BürgerInnen?! Zu Unterschieden und Vereinbarkeit von Konzepten der Sozialraumorientierung in den HzE und der Gemeinwesenarbeit

Liane Pluto: „Moderne“ Entmündigung durch Pseudo-Beteiligung? Zur Notwendigkeit einer Demokratisierung des Alltags der Heimerziehung

Anne Erhard, Ruth Seyboldt: Möge die Macht mit dir sein! Careleaver über Macht und Beteiligung in der Jugendhilfe

Mira Cullmann, Janka Höld, Jonas Poehlmann: An den Grenzen des sozialen Europas? Einblicke in die Soziale Arbeit in Ungarn. Bericht einer Studienexkursion

Tilman Lutz: Ausschließung und Einsperrung zum Wohl der Kinder und Jugendlichen?

Manfred Kappeler: Politische Dimensionen von Macht und Ermächtigung – am Beispiel der Geschichte offener Jugendarbeit und Drogenarbeit in Berlin-Neukölln

Norbert Struck: Zur Genese des § 77 SGB VIII

Themen
Erscheinungsjahr
2015
Ausgabe
5
Sammelband
Nein
Ausgabe Jahr
2015