Was kommt nach der stationären Erziehungshilfe?

Gelungene Unterstützungsmodelle für "Care Leaver"

Die stationären Erziehungshilfen genießen in Deutschland einen ambivalenten gesellschaftlichen Stellenwert. Einerseits verbirgt sich dahinter eine Vielfalt an Hilfeformen – von Heimgruppen über Wohngruppen, Pflegefamilien, Erziehungsstellen und anderen, andererseits wird diese Vielfalt häufig unter der Formel „Stationäre Jugendhilfe als ultima ratio“, als Restkategorie gegenüber den ambulanten Hilfen vereinfachend subsummiert. Diese Perspektive verstellt den Blick auf eine differenzierte Analyse dessen, was stationäre Erziehungshilfen zu leisten vermögen und welchen Herausforderungen sie hinsichtlich ihrer Anschlussfähigkeit an eine gelingende, selbstständige, sozial integrierte Lebensführung gegenüberstehen.

Festzuhalten ist – und dies wird auch in internationalen Studien bestätigt – dass Kinder- und Jugendliche, die im Rahmen von öffentlichen Hilfen zur Erziehung betreut werden, besonderen ökonomischen und sozialen Benachteiligungen sowie auch Barrieren im  Bildungssystem ausgesetzt sind. Diese Problematik erfährt dadurch zusätzliche Brisanz, dass Kinder und Jugendliche, die in stationären Erziehungshilfen aufwachsen, außerdem im Vergleich zu denen, die in ihrer Herkunftsfamilie leben, deutlich früher in den Prozess der Verselbstständigung eintreten (müssen). Damit erfahren die Jugendlichen nicht nur biografisch bedingte, sondern auch mit der stationären Erziehungshilfe korrespondierende strukturelle Benachteiligungen.

Die besondere Situation dieser sogenannten Care Leavers – wird in der Jugendpolitik aber bisher kaum zur Kenntnis genommen. Zudem wird die damit verbundene Herausforderung vielfach auch nicht als Aufgabe des Bildungssystems, sondern als Herausforderung der Kinder- und Jugendhilfe angesehen. Obwohl das Kinder- und Jugendhilfegesetz weitere Angebote für junge Volljährige ermöglichen würde, sehen viele Akteure in der Kinder- und Jugendhilfe ihre Verantwortung für diese jungen Menschen mit dem Erreichen der Volljährigkeit oder dem Verlassen der jeweiligen Einrichtungen als beendet an.

Insgesamt sind auf internationaler Ebene eine Reihe von Aktivitäten zu erkennen, durch die der Übergang ins Erwachsenenalter von Care Leavers verbessert werden soll. So hat beispielsweise die Organisation „SOS-Kinderdörfer International“ eine Studie „Ageing out of Care“ vorgelegt, in der die Übergänge ins Erwachsenenalter von Care Leavers vor allem in osteuropäischen Ländern analysiert werden.

Das Projekt Nach der stationären Erziehungshilfe – Care Leaver in Deutschland der IGfH und der Universität Hildesheim zielt deshalb darauf ab, die Lebenssituation von Care Leavers stärker ins Blickfeld der europäischen Sozialpolitik zu rücken (vgl. Lerch/Stein 2010).Vor diesem Hintergrund sollen durch das Projekt die verschiedenen Maßnahmen, Angeboten und Unterstützungsstrukturen, die in den unterschiedlichen Ländern bereits existieren, systematisiert verglichen, Formen guter Praxis identifiziert, Transfermöglichkeiten beschrieben und Notwendigkeiten der Adaption diskutiert werden.

Ziel des Projektes Nach der Erziehungshilfe – Care Leaver in Deutschland ist es darum:

  • die Situation von Care Leavers in Deutschland im internationalen Vergleich zu betrachten und dabei die Schnittstellen zu anderen sozialstaatlichen Stützungssystemen in den Blick zu nehmen;
  • Strukturen „Guter Praxis“ in Deutschland herauszuarbeiten, diese mit Angeboten und Maßnahmen aus dem europäischen Ausland zu vergleichen und für den Transfer aufzubereiten;
  • in Workshops mit Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Ländern über die Erfahrungen in der Umsetzung der Angebotsstruktur zu diskutieren, sowie den möglichen Transfer in die Kinder- und Jugendhilfelandschaft in Deutschland mit freien und öffentlichen Trägern zu prüfen;
  • ein Arbeitsbuch (Workbook) für die Kinder- und Jugendhilfepraxis zu erarbeiten, in dem für Träger und Kommunen bzw. auch für Jugendämter die internationalen Erfahrungen und mögliche Angebote übersichtlich dargestellt werden.

Am 5.12.2013 fand die Abschlussveranstaltung des Projekts in Berlin statt. Die Vorträge der ReferentInnen finden Sie unten.

Aktuell werden die Projektergebnisse in einem Arbeitsbuch zusammengestellt, das im Sommer 2014 erscheinen wird.

Im Rahmen des Projekts wurden drei Expertisen erstellt, mit denen zentrale Teilaspekte der Projektfragestellungen intensiv bearbeitet wurden. Die Expertise „Übergang aus der stationären Jugendhilfe ins Erwachsenenleben in Deutschland Titel“ von Prof. Dr. Dirk Nüsken stellt die Situation von Care Leavern in Deutschland dar. Prof. Dr. Reinhard Wiesner beschäftigte sich in seiner Expertise „Hilfen für junge Volljährige. Rechtliche Ausgangssituation“ mit der rechtlichen Situation und betrachtet insbesondere die Bedingungen des Übergangs für die jungen Volljährigen und die Rechtssprechung zum §41 SGB VIII. Die dritte Expertise von Prof. Dr. Martin Bellermann „Übergangshilfen im deutschen Sozialstaat“ skizziert die Übergangshilfen, die in unterschiedlichen Sozialgesetzen und Unterstützungssystemen vorzufinden sind. Die Expertisen von Prof. Dr. Nüsken und Prof. Dr. Wiesner stehen unten zum kostenlosen Download zur Verfügung.

Zudem wurde ein Abschlussbericht für die Stiftung Jugendmarke erstellet, der bereits einige Ergebnisse enthält. Dieser ist ebenfalls eingestellt.